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AutorenbildBirte Gutmayer

Aktualisiert: 9. März 2023

Klettern zwischen Krieg und Frieden - Klettern als grenzenloser Sport neu definiert!

Mein abgelaufener Reisepass liegt verstaubt in der Schublade. Seit Jahren passiere ich europäische Grenzen, die nur noch formal existieren. Zwei Wochen vor Abflug nach Israel gehe ich zum Rathaus und beantrage einen vorläufigen Reisepass. Der muss reichen für meine Reise. Vier Stunden vor Abflug bin ich am Flughafen, aus Angst vor Kontrollen und langen Warteschlangen. Begleitet von unzähligen misstrauischen Blicken und löchernden Fragen schaffe ich es erstaunlich schnell durch alle Sicherheitskontrollen.

Es geht los… in ein Land, in dem Krieg und Frieden nur wenige Kilometer voneinander entfernt liegen, in ein Land voller Grenzen, die ich überwinden will. Meine Schwester, die ich besuche, führt mich durch das Land: Mitte Februar rieche ich nicht nur den Frühling in Tel Aviv, sondern auch kulturelle Vielfalt, Freiheit und Lebensfreude. In den nächsten Tagen sehe ich aber auch die andere Seite des Landes: Auf dem Weg zum Toten Meer passieren wir zwei Grenzkontrollen. Wir schlendern durch Städte und sehen 18-jährige junge Frauen mit Gewehren patrouillieren. Wir besichtigen Jerusalem und stehen vor der einschüchternden acht Meter hohen Betonmauer, die uns von Bethlehem trennt. Wir fahren auf Straßen, die komplett eingezäunt sind. Wir sehen Siedlungen, die abgeschottet sind. Und mein Schlafzimmer befindet sich direkt neben dem hauseigenen Bunker. Immer wieder werde ich daran erinnert: Solange die Grenzen von allen akzeptiert werden, besteht Frieden, sonst Krieg. Ein Ort in dem es hingegen keine Grenzen gibt ist allseits bekannt das World Wide Web. Also fordere ich dort mein Glück heraus, um nicht nur Ländergrenzen sondern auch kulturelle Grenzen zu überwinden. Gleich der erste Kontakt auf einer Social Media Plattform ist vielversprechend. Ein israelischer Kletterer bietet mir an zusammen klettern zu gehen.

Der Weg zum Fels ist nicht ganz so einfach wie in Europa. Nachdem wir eine Grenze in die Westbank passiert haben, parken wir in einer israelischen Siedlung. Vor dem Tor am Ende der Siedlung warten wir auf einen Bewohner, damit sich das Tor öffnet und wir in das Naturreservat gelangen. Das Klettern dort ist zwar nicht legalisiert, aber auch nicht ausdrücklich verboten. Ich bin also froh, um die vertrauensvolle Begleitung eines Locals und Mitbegründer des Klettergebiets. Das Klettern selbst läuft hervorragend. Die Kommandos “Climbing” und “Take” sind weltweit bekannt. Anstatt “Come on” und “Allez” zu rufen, feuer ich meinen Kletterpartner nun mit “Yalla, Kadima” an. Wir beide kennen die Regeln des Klettersports und müssen uns kaum absprechen. Trotz Fremde fühlt es sich so an, als wären wir schon tausend Mal zusammen klettern gewesen. Schnell vergesse ich die Bilder der Grenzen in meinem Kopf.

Willkommen in der Welt des Kletterns im 21. Jahrhundert, in der Deutsche mit jüdischen Israelis klettern. Was sie verbindet ist in erster Linie der Sport. Was uns neben dem Sport noch verbindet, erfahre ich auf der Rückfahrt. Während wir wieder durch das Tor der Siedlung und durch die Grenzkontrollen nach Israel bis nach Tel Aviv gelangen, suchen wir nach Gemeinsamkeiten in unserer Sprache, wie z.B. Tacheles, Schlamassel und Meschugge. Wir verlassen aber auch typische Themen des Smalltalks und reden über die Aufarbeitung der NS-Zeit in deutschen Schulen und die Siedlungspolitik Israels. Am Ende des Tages habe ich das Gefühl nicht nur physische Grenzen überwunden zu haben, sondern auch einen kleinen Teil zur Völkerverständigung beigetragen zu haben.
Nach einer Woche kulturellem Overloading bringt mich meine Schwester zum Flughafen. Hier erfahre ich wieder, was es heißt in Israel zu sein, in einem Land mit ständiger Angst vor Terror. Nach zweieinhalb Stunden von Misstrauen geprägten Befragungen, Gepäck-Scanning und Passkontrollen, schaffe ich es schweißgebadet gerade noch rechtzeitig in meinen Flieger, weil dieser 30 Minuten Verspätung hat. JHWH sei Dank. Zurück in Deutschland höre ich die Nachrichten über Israel mit einem anderen Verständnis und sorge mich um die Bewohner dieses Landes mehr als zuvor.
Bleibt nur noch eine letzte Sachen zu sagen: Zum Klettern fährt man nach Spanien, für eine neue kletternde Weltgemeinschaft nach Israel.
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